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Das Ich in der Stimme

Holden Madagame ist Opernsänger und Transmann: Im letzten Jahr verwandelte sich seine Mezzo-Sopranstimme in eine Tenorstimme

WhatTheFachAuf der Bühne steht ein junger Mann und singt eine Arie. Holden Madagame ist 1,57 Meter groß und hat ein knabenhaftes Gesicht. Seine Tenorstimme hat einen klaren und vollen Klang. Die Atmosphäre ist gemütlich, das Publikum trinkt Wein, klatscht und lacht viel. Die Arie “Smanie implacabili” aus Mozarts Oper „Così Fan Tutte“ wird normalerweise von einer Frauenstimme gesungen, doch beim Konzert „What the Fach?“ am 16. Juni 2015 tauschten alle Sänger und Sängerinnen ihr Stimmfach: Sie sangen Opernstücke, die eigentlich nicht für ihre Stimmlage geschrieben wurden.

Der unterhaltsame Abend im Prachtwerk in Neukölln, an dem mit Genderrollen gespielt wird, passt zu Holden Madagame: Der 24-Jährige ist ein Transmann. Noch bis vor einem Jahr führte der gebürtige US-Amerikaner ein Leben als lesbische Frau und hatte eine Mezzo-Sopranstimme. Im Sommer 2013, bei den Proben für eine männliche Opernrolle am Arbor Opera Theater in Michigan, wurde ihm bewusst, dass er auch privat ein Mann sein möchte. Er spielte den jungen Pagen Cherubino in Mozarts Oper „Die Hochzeit des Figaro“. Madagame liebte die Rolle so sehr, dass er rund um die Uhr ein Cherubino sein wollte. Im Sommer letzten Jahres, als er bereits in Berlin lebte, entschied er, sich offen zu seiner Transsexualität zu bekennen.

HoldenDrei Tage nach dem Auftritt im Prachtwerk sitzt Holden Madagame im Neuköllner Café „K-Fetisch“ und trinkt einen Americano. Er ist leidenschaftlicher Kaffeetrinker und arbeitet selbst als Barista in der „Oslo Kaffebar“ am Nordbahnhof. Irgendwann will er ein eigenes Café besitzen, in dem man bei einer Tasse Kaffee alte Videospiele spielen kann. Madagame ist ein fröhlicher Mensch. Er lächelt ständig und schneidet auf Fotos Grimassen. Er hat etwas Lausbübisches an sich. Als er von seinem Outing spricht, wird er allerdings ernst. „Ich hatte große Angst“, erzählt er. „Es war furchteinflößend, weil sich alles verändern würde.“ Er rechnete mit Transphobie, mit Gewalt und damit, dass viele Beziehungen zerbrechen würden.

Doch es lief besser als erwartet: Seine Mutter, seine Schwester und die meisten seiner Freunde unterstützen ihn. Als er im Juli 2014 bei Facebook postete, dass er von jetzt an Holden heiße und männliche Pronomen für sich verwende, erhielt er rund 470 Likes. Zwei seiner Freunde kamen mit der Veränderung jedoch nicht zurecht: Die eine benutzt noch immer weibliche Pronomen und meldet sich nur selten. Die andere hasst seinen neuen Namen. Die ferne Verwandtschaft möchte bis heute nicht über das Thema sprechen.

Holden Madagame hat einen Bachelor in „Vocal Performance“. Andere Sänger sagten zu ihm: “Wenn du weiterhin Klassik singen willst, solltest du dir kein Testosteron spritzen.” Madagame wusste, dass die männlichen Hormone seine Stimme stark beeinflussen würden, aber er hatte keine Ahnung, wie sich das auf seinen Gesang auswirken würde. Er kannte niemanden, den er um Rat fragen konnte, keinen Sänger und keinen Gesangslehrer, der damit Erfahrung hatte. „Wenn ich eine Person gehabt hätte, die mir gesagt hätte ,Alles wird gut. Du wirst wieder singen können‘, dann wäre Vieles leichter gewesen“, sagt Madagame. Er möchte deshalb seine Erfahrungen mit anderen teilen. Es ist ihm wichtig, im Internet sichtbar zu sein. Er hat einen Blog, auf dem er über sein Leben als Transperson berichtet. Madagame ist davon überzeugt, dass Anekdoten wichtiger sind als Fakten. „Je mehr Anekdoten es gibt, desto mehr Menschen werden das Transgender-Thema auf einer emotionalen Ebene verstehen.“

Zudem startete er online eine Fundraising-Kampagne, um Geld für eine Brust-Operation zu sparen. Auf seinem YouTube-Kanal führt er vor, wie sich das Testosteron auf seine Stimme auswirkt. Madagame erklärt, dass sich seine Stimme ähnlich wie bei einem Stimmbruch verändert. Testosteron vergrößert die Muskeln, auch die Stimmbänder werden dicker. Seine Stimme wurde tiefer und überschlug sich, er hatte sie nicht mehr unter Kontrolle. Er war frustriert, aber er gab nicht auf. Inzwischen sei seine Stimme stabil und verändere sich kaum noch. Madagame hofft, bald als Opernsänger arbeiten zu können, am liebsten in Berlin. Nach Michigan will er nicht zurück, auch weil er dort als Transperson kaum Rechte hätte. In Deutschland habe die Oper zudem eine größere Bedeutung – auch für jüngere Menschen. Damit sie allerdings weiterhin attraktiv bleibe, müsse man die Zuschauer unterhalten. Als Beispiel nennt er eine Aufführung der Organisation „Berlin Kiez Oper“: Bei „The Fairy Queen“ von Henry Purcell bot sie eine Licht-Show und Akrobatik.

Neben seinem Job als Barista arbeitet Madagame als selbständiger Sprecher, zum Beispiel als Off-Stimme oder Hörspielsprecher. Sein Traum wäre es jedoch, als Opernsänger und Schriftsteller sein Geld zu verdienen. Sein noch unveröffentlichter Roman spielt in einer zukünftigen Welt, in der alle Menschen ein Implantat in sich tragen. Dieser Chip bewirkt, dass jeder sieht, was er sehen will. Die Regierung versucht dadurch eine größtmögliche Zufriedenheit in der Bevölkerung herzustellen. Die zwei Hauptpersonen, ein Junge und ein Mädchen, können mit einer besonderen Kamera Fotos schießen, die noch die Wirklichkeit abbilden. Sie wollen ihren Mitmenschen mithilfe der Fotos die Augen öffnen. Wie die Protagonisten in seinem Buch möchte auch Holden Madagame anderen die Wahrheit und Schönheit der Welt zeigen. Statt Fotos benutzt er seine Stimme: Er singt, spricht und schreibt, um zu erzählen und sich mitzuteilen.

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Kategorie: Bühne

Julika Bickel

Mit acht Jahren habe ich beschlossen, Schriftstellerin zu werden, weil ich Michael Ende bewundert habe. Ein paar Jahre später habe ich festgestellt, dass die Geschichten der Wirklichkeit mindestens genauso spannend sind wie die der Fantasie. Seitdem will ich Journalistin werden. Meinen Bachelor habe ich in Philosophie und Englisch absolviert, nun studiere ich im Master Kulturjournalismus. Awesome! Mein englisches Lieblingswort. Und um noch ein wenig philosophisch zu werden: In der Kultur zeigt sich, so glaube ich, der Mensch sich selbst. Was er denkt, was er fühlt, was er ist.

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