Bühne
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Musiktheater ohne Verfallsdatum

Szene aus "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" aus der Staatsoper Berlin (c) Matthias Baus

Die Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny« übt Kapitalismuskritik, die heute aktueller denn je erscheint

Maria Altnau sah das Stück vor vielen Jahren zum ersten Mal. Bei der Premiere an der Staatsoper Berlin fiel es ihr schwer, nicht einfach bei Weills Musik mitzusummen.

Schon einmal sah ich eine Inszenierung der Oper »Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny«. Es liegt acht Jahre zurück. Es war noch zu Schulzeiten in meiner Heimatstadt Dessau. Die Bauhausstadt ist auch die Geburtsstadt des Komponisten Kurt Weills, der mit Bertolt Brecht diese Oper Ende der 1920er Jahre gemeinsam entwickelte. Ich war 16, als ich zum ersten Mal im Anhaltischen Theater in Dessau eine Inszenierung des ungewöhnlichen Werkes sah, das von einer Wüstenstadt voller Sündhaftigkeit erzählt. Als Netzestadt betitelt die Gründerin Leokadja Begbick diese Paradiesstadt nicht ohne Grund. Denn wie in einem Netz sollen sich die Menschen mit ihrem Geld darin verfangen und ihr einen vollen Geldbeutel bescheren.

Es war ein Ausflug des Musikkurses. Im Anschluss schrieb ich eine Theaterkritik. »Prostituierte mit Punkfrisuren mitten in der Wüste« lautete meine Überschrift damals. Ähnlich bunt zu Berge stehende Haare tragen auch die Prostituierten in der Inszenierung von Vincent Boussard an der Staatsoper. Die auffällig gekleidete Witwe Begbick beschrieb ich damals als großes rotes Geschenk. Diese geldgierige Witwe Begbick, hier gespielt von Gabriele Schnaut, fällt mit ihrem silbern glitzernden Kleid zwar auch hier ins Auge, doch hinter dem Vorhang aus unzähligen Glitzerschnüren wirkt sie weniger pompös.
Der Holzfäller Jim Mahoney, gespielt von Michael König, ist gelangweilt von der Ruhe und Eintracht, die Begbick in Mahagonny hervorruft. Er verkündet beim Herannahen des Hurrikans, »es ist nichts verboten«, denn »du darfst es«. Dann jedoch wird er Opfer seiner von ihm angestifteten zügellos gewordenen Paradiesstadt, denn er begeht das größte Verbrechen: Er kann nicht bezahlen. Während damals ein dicker bärtiger Mann den Jack, einen Freund des Holzfällers Jim, verkörperte und beim Verzehr einer toten Kuh seinen Kopf in diese hineinsteckt, so tänzelte auf der Bühne des Schiller Theaters ein junges Kalb leichtfüßig auf dem Tisch um Jack herum.

»DIE MUSIK IST ES VOR ALLEM, DIE SICH SO LEBHAFT EINPRÄGTE.«

Schmissige zum Tanz verlockende Lieder finden sich in Kurt Weills Musik an vielen Stellen. Seine Jazzrhythmen, die sich radikal gegen die traditionellen Opernformen stellen, veranlassten einen Zuschauer zwei Reihen hinter mir zum Mitwippen seines Fußes im Takt. Nur allzu verständlich, denn der bekannte englische Organist, Pianist und Dirigent Wayne Marshall, der für Mahagonny am Pult steht, kitzelt diese Jazzklänge so hervorragend heraus, dass man nur zu gerne mitsummen würde, wenn sich die ersten Takte von »Wie man sich bettet, so liegt man« ankündigen. Die Musik ist es vor allem, die sich bei meinem Besuch in der Staatsoper so lebhaft einprägte.

Fressen, Saufen, Sex und Boxkampf sind die Grundsätze der sündigen Stadt, in der man alles darf, solange man bezahlen kann. Der dargestellte Konsum in der Wüstenstadt ist allzu aktuell, sprechen wir doch vom Leben in einer Konsumgesellschaft. Natürlich ist Mahagonny kein Abbild unserer Zeit, viel zu maßlos, ungehemmt und absurd erscheint sie. Doch in Zeiten von Währungs- und Wirtschaftskrisen hat der Stoff der Oper nichts an Aktualität verloren. So wird Mahagonny vermutlich auch in acht Jahren noch aktuell sein und vielleicht sehe ich dann wieder eine Inszenierung vom Aufstieg und Fall der Wüstenstadt.

Foto: (c) Matthias Baus (Staatsoper Berlin)

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