Bühne
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Haltestelle Hoffung

Zwei Liebende hoffen zwischen ihren verfeindeten Gangs auf eine gemeinsame Zukunft, auf ein Leben zusammen. Die Hoffnung ist die treibende Kraft der beiden verliebten Protagonisten der Westside Story. Die Komische Oper inszeniert den Musical-Klassiker neu – und schafft es, dass die Zuschauer auf ein wenig mehr Authentizität und Nähe beim vermeintlichen Liebespaar hoffen.

Als sich der Vorhang hebt, erfüllt das einsame Geräusch eines dribbelnden Basketballs den Zuschauerraum der Komischen Oper. Die Bühne ist blank, der Blick auf die schwarzen Steine der Wand am Ende der Bühne freigegeben, allein weiß gestrichelte Linien auf dem Boden definieren den Raum. Wie in der Verfilmung der Westside Story aus dem Jahre 1961 spielt das Basketballfeld eine Rolle, und deutet von den ersten Momenten der Vorstellung darauf hin, dass hier später zwei Teams gegeneinander kämpfen werden. Das Konzept des Bühnenbilds von Intendant und Chefregisseur Barrie Kosky sieht zwar einige spärliche Feuerleitern und einen Balkon vor, aber das war es dann mit Ähnlichkeiten zum Original am Broadway.

Gangs der Gegenwart

Die Spieler dieses Wettkampfes haben sich in der Zwischenzeit verändert: Die Jets sind beatboxende Hip-Hopper, während die Sharks mit nackten Oberkörpern auftreten, die von Tattoos bedeckt sind. Aber nicht nur die Kostüme von Esther Bialas aus Adidas-Turnschuhen, Jogginghosen und Kapuzenpullis, sondern auch eine passende jugendliche Art und großkotzige Gestik machen die Jets und die Sharks zu Gangs der Gegenwart. Ein mutiger Versuch von Kosky, dem Musical frischen Wind einzuwehen, der definitiv geglückt ist. So kann es im Kopf der Zuschauer an einem beliebigen Ort spielen, egal, ob in New York oder Berlin. Vor allem scheint die Geschichte aber zeitlos. Denn schließlich sind die Themen von Rassismus, Immigration und Ignoranz seit bereits 1957 aktuell – wenn nicht sogar brisanter denn je.

Während die typischen Jazz-Pirouetten aus der originalen Choreografie von Jerome Robbins noch hier und da zu erkennen sind, vermischt sich das Bewegungsvokabular der tanzenden Jungs größtenteils mit kantigen und zackigen Hip-Hop-Bewegungen. Otto Pichler lässt seine 19 Tänzer ebenfalls eine Körpersprache von heute sprechen, die besonders das junge Publikum ansprechen soll. Das Ensemble glänzt in witzigen Gruppenszenen, daneben sind die getanzten Prügeleien und Messerstechereien ohne Frage spannend, sie wirken gefährlich und real, zeitnah eben.

Emotionale Nähe bleibt eine Andeutung

Tony (Tansel Akzeybek) und Maria (Julia Giebel) kommen sich stocken näher. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Tony (Tansel Akzeybek) und Maria (Julia Giebel) kommen sich stockend näher. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Die Authentizität fehlt ganz woanders. Maria und Tony, das Liebepaar, das mit Romeo und Julia auf eine Stufe gestellt werden kann, schafft es in dieser Aufführung nicht, zu überzeugen. An der Komischen Oper wirken die Interaktionen zwischen den beiden aufgesetzt und unecht. Beim Zuschauen fragt man sich, was wahre Liebe ist. Denn das, was man auf der Bühne sieht, ist es wohl eher nicht. Es ist fast unangenehm anzuschauen, wie die beiden auf dem wackelnden Balkon umeinander hertänzeln. Als es dann endlich zur Berührung und zum Kuss kommt, werden die Bewegungen von der Berührung am Arm bis hin zur Umarmung statisch. Selbst eine ach so spontane Kissenschlacht wirkt seltsam einstudiert. Wenn Tony sich unter dem Balkon von Maria verabschiedet, als Spiegelbild der shakespeare’schen Liebenden, ist klar, dass emotionale Nähe in dieser Inszenierung nur eine Andeutung auf Distanz bleibt.

Dabei ist Tansel Akzeybeks lockiger Tony ein Träumer durch und durch, der mit einer gefühlvollen Stimme und hohen Tönen in seinen Solos wie „Maria“ oder „Something’s Coming“ auf sich allein gestellt begeistern kann. Sein Gesang macht seine fehlende Körperspannung wett. Bei Maria (gespielt von Julia Giebel) sieht es leider anders aus, denn mit Vibrato in der Stimme und mit Gesten aus pathetisch in den Himmel gereckten Armen scheint sie wie eine Opern-Diva, deren Metier nicht das Musical ist. Trotz niedlicher Kurzhaarfrisur nimmt man ihr die Rolle der jugendlichen Maria nicht mehr ab. Ihr kräftiger Gesang schmettert ihren Partner manchmal regelrecht nieder. Während ihre Stimme zu stark ist, fehlt auch bei ihr das Körpergefühl. Ihre Füße machen ständig mädchenhafte Trippelschritte, die ihre Maria nichts anderes als unsicher, unbeholfen und plump aussehen lassen.

In "Amerika" glänzt Sigalit Feig in der Rolle der Anita. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

In “Amerika” glänzt Sigalit Feig in der Rolle der Anita. Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Daher war es ein Leichtes für Sigalit Feig in der Rolle der Anita schnell zum heimlichen Star der Show zu werden. Ihre Stimme ist wie gemacht für die Rolle der feurigen Latina und sie reißt heraus, was Giebel nicht schafft. Obwohl ihre Bewegungen aufgrund der Choreografien auch oft eher kalt als sinnlich wirken, überzeugt sie stimmlich voll und ganz in emotionalen bis hin zu witzigen Partien wie in „Amerika“. Durchweg haucht das Orchester der Musik von Leonard Bernstein mit Enthusiasmus und Freude neues Leben ein und feiern das Aufleben der brillianten Melodien, sodass geradezu mitgewippt wird. Trotzdem wird jeder, der auf eine mitreißende Liebesgeschichte hofft, hier enttäuscht – das macht auch die beste Musik nicht wett.

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