Bühne
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Düstere Landschaften, heitere Analysen

Die Präsentation Coaching-Projektes „6×4“ zeigte fünf junge, selbstbewusste Choreografen. Bei allen ging es um Selbstsuche. Aber die Bewegungsquellen waren vielfältig. Sie reichten von südamerikanischen Ritualen, über fernöstliche Kampfkünste, bis hin zu selbstkreierten Bewegungsstudien

Ein Probenraum, 30 Stunden Probezeit, vier Treffen und eine Bühne, das war das Angebot der Choreografinnen Jennifer Bopp und Julieta Figueroa an fünf junge Tanzschaffende. 6×4 Meter, war der Freiraum und die einzige Begrenzung, in der die Choreografen ihre Ideen entwickeln konnten. So variierte der Tanzstil zwischen zeitgenössischem Tanz, Hip Hop und Break Dance.

Hong Nguyen Thai Foto: Martin Dormann

Hong Nguyen Thai (Foto: Martin Dormann)

Nun Scheinwerfer an. Eine zarte Frauengestalt rücklings auf der Bühne. Von ihrem Hinterkopf ausgehend, fixierten leere Maskenblicke das Publikum. Gespenstisch kontrastierten das weiße Gesicht und ihr schwarzes Seidenkleid. Ihre Schulterblätter begannen zu schaufeln, zogen sich zusammen, taten sich spitz hervor, als wollten sie sich aus dem Gewebe befreien. Aus ihrem Rücken wurde eine Landschaft aus Hügeln und Grübchen, die ihren muskulösen Rücken zerfurchen. Die Tänzerin Sarah Jegelka schaffte es, gebannte Blicke auf ihren Rücken zu fokussieren.

Die Brasilianerin Andrea Krohn besann sich auf ihre kulturellen Wurzeln. Lebenslustig und kämpferisch vollzog sie ein Ritual, sprang und tanzte um einen Mittelpunkt herum, war es ein Lagerfeuer, war es ein Ochse? Ihr unerschrockener Blick verlieh ihr eine starke Präsenz. Singend schien sie Geister zu beschwören, bis sie, wie selbst von Geistern besessen, ihren Blick ins Publikum richtete und wie ein Gorilla auf ihre Fäuste gestützt, ihr Gesicht zu einer Grimasse verzog und sich eine rot leuchtende Zunge aus ihrem Mund befreite. Ein zum Fürchten herrlicher Anblick!

Schleifende Geräusche, jähe Rufe, ein verhülltes Gesicht. Stephanie Scheubeck interessierte sich mehr für das Verborgene. In der Finsternis wagte sie ein Duett mit einem Stein. Sie rollte über den Boden und kämpfte, zerrte, stockte. Welche Funde sie auf ihrer Suche nach dem Unaussprechlichen gemacht hat, blieb jedoch im Dunklen.

Dann stellte der gebürtige Vietnamese Hong Nguyen Thai Fragen nach Zufriedenheit. Zwischen zwitschernden Vögeln und Glockenläuten, hörte man seine Stimme Gedanken formulieren. Dazu drehte er sich mal virtuos auf dem Kopf oder webte fein geführte Bewegungsfasern ineinander. Mal schleuderte er auf Geräuschimpulse energievolle Arme in die Weite oder er streifte nachdenklich an der Wand entlang. Die Komposition aus Klang, Licht und Tanz wirkte sorgfältig zusammengefügt und überzeugend dargebracht. Umso erstaunlicher, dass der Tänzer nach der Vorstellung verriet, es sei sein erstes Solo gewesen.

Der Höhepunkt und Abschluss des Abends war das Stück von Julia Schunevitsch. Mit dieser Platzierung erwiesen Jennifer Bobb und Julieta Figueroa dramaturgischen Feinsinn. Die Tänzerin begann langsam, spielte mit Energie, vergrößerte ihren Atem mit dem Kreisen ihrer Arme. Während der gesamten Dauer schien sie mit ihrem Blick einen Zuschauer zu fixieren. Energiebündelnden Entlehnungen aus fernöstlichen Kampfkünsten mischten sich mit Hip Hop und zeitgenössischem Tanz. Schweifen, gegenhaken, werfen, stocken. Ein ewiges Für und Wider. Dann ein Schuss. Stopp. Die Tänzerin hob ihr Hemd. Rote Farbe. Blut? Nein, ein augenzwinkerndes Lächeln. Die Choreografie traf, bannte und rührte.

Das Coaching-Projekt hat viel Potential freigesetzt und düstere Gestalten, verborgen hinter Masken, Grimassen oder hypnotisierenden Blicken auf die Bühne des ada /Berlin beschworen. Welch ein Glück, dass bei der dichtbesetzten Zuschauertribüne die Hand des nächsten Nachbarn in greifbarer Nähe war!

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Kategorie: Bühne

1 Kommentare

  1. Pegasus sagt

    und nun wäre es noch schön, erkennen zu können, wo das Ganze stattfand.
    LG
    P

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