Bühne
Schreibe einen Kommentar

Was mit Menschen machen


Ahmed studiert Literaturwissenschaft und will sich einer linken Gruppe an der Uni anschließen. Er hat einen Aufkleber auf der Toilette gesehen. Die Gruppe ist begeistert: „Hab euch doch gesagt, dass die Massen durch Subversivpropaganda am besten zu mobilisieren sind.“ Statt sich ihrem schüchternen Interessenten zu widmen, verliert sich die „maoistisch-avantgardistische“ Vereinigung aber im eigenen Prinzipienstreit. Man glaubt, in den frühen 70ern zu sein, wenn da nicht die Frage käme, ob Ahmed eigentlich einen Migrationshintergrund habe. Nur wegen seines Namens natürlich.

Der Drang, etwas eigenes zu machen und etwas zu verändern in der Welt, ist gleich geblieben. Aber damals wie heute kann er allzu leicht zur Karikatur werden, zur Phrase, zum common sense. „Ich will was mit Menschen machen“ ist ein solches Motto. Als Lagerfeuersong ertönt er immer wieder in diesem Stück, das sich nichts weniger vorgenommen hat als eine Satire der „Generation NGO“.

„WeFlash“ ist das erste Projekt der Theatergruppe kadaver exquisit aus Wien. Wer aber die fünf Studenten in der Berliner Etage in Kreuzberg erlebt, der glaubt, es mit routinierten Darstellern zu tun zu haben. Das nötige Maß an Selbstironie, um aus Konsumkritikern Marketingstrategen zu machen, trifft bei den fünf Mittzwanzigern auf die Fähigkeit, in grundverschiedenen Rollen aufzugehen. Dabei haben die fünf Schauspieler Anya Deubel, Moritz Geiser, Timo Müller, Patrick Rothkegel und Ottilie Vonbank das Stück selbst geschrieben und es vom Bühnenbild bis zur Regie zusammen entwickelt – ganz ohne Hierarchien.

Funktioniert das? „WeFlash“ hat viele Antworten. Die Haupthandlung dreht sich um die Entwicklung eines hippen, ökologisch nachhaltigen Energiedrinks. Die Generation der altruistischen Weltreisenden und urbanen Individualisten glaubt an ihre Einzigartigkeit, bildet aber längst eine homogene Zielgruppe für die Werbung. Horvarth, gespielt von Moritz Geiser, glaubt als Chef der „WeFlash“-Kampagne die Werte der Jugend durchschaut zu haben. „Ihr erbärmlicher Wunsch nach einem würdigeren Dasein manifestiert sich in seichten Filmen wie Die fetten Jahre sind vorbei.“ Doch auch Horvarth kann nicht der Held der Geschichte sein, denn er führt eine Inzest-Beziehung mit seiner Schwester (Anya Deubel), aus der seine maßlose Selbstüberschätzung erwächst.

Zunächst ist die Kampagne ein Erfolg. Der wird gefeiert, was in ein Fest der Peinlichkeiten ausartet. Designerin Lena (Ottilie Vonbank) wird von Horvarth wegen ihrer Aufgesetztheit gedemütigt, nach vielen Gläsern Sekt tanzt sie mit der eifersüchtigen französischen Marketingchefin (Deubel), bis beide betrunken zusammenbrechen. IT-Entwickler Martin (Patrick Rothkegel) versucht, sich den markigen Sprüchen des Praktikanten Frank (Timo Müller) zu erwehren. Dessen Gewöhnlichkeit – seine Welt dreht sich um Golf GTI, Angeln und Alkohol – trifft auf die Unbeholfenheit von Martin. „Meine einzige Beziehung bis jetzt war mit der Elfin Fridola aus World of Warcraft.“

Klar ist: Es geht ziemlich hin und her. Dem Konzept eines hierarchiefreien Theaters ist geschuldet, dass es keine klare dramaturgische Linie gibt. Frei nach dem Titel „WeFlash“ fällt das Scheinwerferleicht mal auf die verschiedenen Nebenhandlungen, mal auf das Hauptthema. Was hat Cybersex mit Reisen nach Peru zu tun? Und Kaderpartei mit Energiedrink? Auch wenn sich die Einzelgeschichten nicht zu einem Gesamtporträt fügen, so zeigen sie doch, auf welchen Pfaden die jungen Großstädter sich doch alle in einem gleichen: im Wunsch, verschieden zu sein.

Einzige Ausnahme dazu ist der „success-orientierte“ Praktikant Frank, der trotz „special skill profile“ ein Prolet aus der Provinz bleibt. Tatsächlich hat er nur im väterlichen Betrieb gearbeitet. In der vielleicht besten Szene ringt sich das Marketingteam dazu durch, ihn einzustellen – unentgeltlich, wie sie im Chor rufen. Dass sie dabei mit dem Rücken zum Publikum sitzen, ist eine gelungene Metapher für die Anonymität des Werbebetriebs. Der anpassungswillige Bewerber ist austauschbar, die vermeintlich Kreativen auch, ihr englisches Fachkauderwelsch eine inhaltslose Weltsprache.

Die Zeichnungen von Lena Novotny machen die Grafik zu einem originellen Kulissenelement. Alles entsteht in der Situation. Zum Tempo des Stücks könnte kaum etwas besser passen als die bizarren Rhythmen von Peaches. Aber auch die „Revolution aus der Dose“, der Untertitel des Stücks, kommt noch zu ihrem Recht. Den Werbespruch „Reclaim your energy“ haben sich die dann doch konsumkritischen Studenten zu Herzen genommen und einen Aufstand angezettelt. Potenziert durch einen Falschbericht, den IT-Entwickler Martin in die Nachrichtenagenturen geschleust hat. Nur konsequent, dass die Revoltierenden schließlich zu Statisten in einer Wurstwerbung werden.

In ihrem vagen Wunsch, „was mit Menschen“ zu machen, wiederholen sie nur das Thema der 68er. Es führt kein Weg vorbei an der Angepasstheit. Nicht trotz, sondern wegen der Abwesenheit einer klaren Dramaturgie gelingt kadaver exquisit eine grelle Performance. Viel wahrhaftiger als ein naturgetreues Porträt. Hoffentlich sind sie bald wieder mit ihrem zweiten Stück in Berlin zu Gast.

FacebooktwitterFacebooktwitter
Kategorie: Bühne

Im Bachelor studierte Franz Philosophie und Linguistik, seit 2012 Kulturjournalismus im Master. Zu seinen Lieblingsthemen gehört die Sprache - in der Literatur, im Leben, in verschiedenen Kulturen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert