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Das Prinzip GaGa

Die 23-jährige Lady GaGa ist einer der illustresten Stars der Gegenwart. Über die Sängerin ist bereits eine Menge geschrieben worden. Beim Lesen bereits erschienener Artikel sollte sich daher ein umfassendes Bild ergeben. Ein Portrait in Presse- und Selbstaussagen.

Als eines der ersten portraitierte sie das US-amerikanische W-Magazine im Oktober 2007 unter dem Titel “Going GaGa for Lady Gaga”. Darin erwähnt die damals noch brünette und bis dahin ausschließlich zu lokaler Berühmtheit gelangte New Yorkerin ihre früheren Tätigkeiten als Strip-Tänzerin und Songschreiberin für Britney Spears und die Pussycat Dolls.

Auch von ihrem Hang zum  bloßen Tragen von Unterwäsche statt stoffreichen Hosen, der ihr bereits eine polizeiliche Vorladung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses einbrachte, ist hier erstmals Rede. Bis heute gibt Stefani Joanne Angelina Germanotta (so ihr wohlklingender bürgerlicher Name) Hot Pants, knappen Bodies und Strumpfhosen den Vorzug vor züchtigeren Beinkleidern.

„Die heimliche Tochter von Doris Day und dem Terminator“

Die Bild-Zeitung bietet erwartungsgemäß kaum nützliche Interpretationshilfen. Das Boulevardblatt arbeitet sich an wenig einfallsreichen Wortspielen mit dem Künstlernamen der Sängerin ab: “Liebe Lady, wie gaga ist das denn?”, “So Gaga ist die Lady wirklich” und “Dieser US-Star ist gar nicht «Lady», sondern nur «gaga»”. Ansonsten zeigt das Blatt, was es – neben reißerischen Artikelüberschriften – am besten kann: Schnappschüsse von so genannten Busen-Blitzern während eines Konzerts.

Auch ein Online-Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kann sich das lahme Wortspiel nicht verkneifen, auch wenn man da zu einer etwas differenzierteren Sicht fähig ist: “Sie ist nicht gaga, sie heißt nur so”.

Das Klatsch-Heft In hingegen hat eine kreative Sternstunde und erkennt in der Sängerin angesichts ihrer blond gelockten Perücke und des Metallic-Dress “die heimliche Tochter von Doris Day und Terminator”.

„Ein Mix aus Christopher Street Day und lebendig gewordenem Feuerwerk“

Bilds kleine Berliner Schwester B.Z. hält die Sängerin – leider nicht ganz so hübsch – für “einen Mix aus Christopher Street Day und lebendig gewordenem Feuerwerk”, hat sich dafür aber ein ganz besonderes Experiment ausgedacht: Sie schickt “Berlins blinden Pop-Star” Joana Zimmer auf das Konzert der Kollegin, um zu prüfen, ob es “auch ohne Optik rockt”. Das Urteil: “Wegen ihrer Stimme zum Konzert zu gehen, lohnt sich sicher nicht.”

Das stimmt sicherlich. Den Reiz machen Lady GaGas Aufsehen erregenden Outfits aus: Da wären z.B. ein mit unzähligen Plüsch-Fröschen besetztes Kleid, ein Mobile  aus sich um ihren Kopf bewegenden Metallringen oder eine stark an die Arbeitskleidung einer Domina erinnernde Gesichtsmaske.

Hypersexualisierte Posen

Die FAZ bescheinigt Lady GaGa ein Agieren entgegen “omnipräsenter Stromlinienweiblichkeit” und: “Während sie sich bei Shows in extrem sexualisierten Posen windet und spreizt, sorgen ihre Kostüme dafür, dass die ganze Gaga eher einer Festung als einem Objekt der Begierde gleicht. Korsetts aus Plastik, Latexbodys und Glasscherbenkonstruktionen, die sie sich an den Oberkörper montiert, gehören dazu. Höhepunkt ihrer Live-Auftritte ist derzeit ein Trick, mit dem sie aus ihren Brüsten Feuerwerke sprühen lässt. Das ist nicht mehr sexy, das ist aggressiv.”

Davon abgesehen, dass es streitbar ist, ob hypersexualisierte Posen überhaupt “nicht mehr sexy” sein können, ist Lady GaGa da anderer Meinung: “Ich glaube, ich verändere die Vorstellung dessen, was Leute für sexy halten”, zitiert sie der US-Rolling Stone und sie erläutert das im SZ-Musikblog: “Zu Beginn meiner Karriere hat niemand das, was ich anzog, sexy gefunden, sondern eher seltsam. Jetzt, fast zwei Jahre später, wird über mich als sexuelle Person berichtet. Wo ich herkomme und wo ich jetzt bin sind zwei verschiedene Orte, und deshalb denke ich, dass ich die Leute dazu gebracht habe, anders darüber zu denken, was an mir sexy ist.”

Genau da liegt der feuilletonistische  Irrtum: Es geht Lady GaGa nicht darum, Sexyness als das Paradigma weiblicher Pop-Produktion aus dem Fokus zu rücken, sondern lediglich darum, noch mehr Haltungen, Posen und Outfits als noch sexier gelten zu lassen. Insofern verschiebt sie doch Grenzen, aber nur immer weiter in die bereits sattsam bekannte Richtung.

Bowie, Mercury, Warhol, Rilke, Brâncuşi, Jones

Lady GaGa betont ostentativ, dass sie sich von Stars der Siebziger und Achtziger wie David Bowie, Freddy Mercury und Grace Jones und von Künstlern wie Andy Warhol, R. M. Rilke und Brâncuşi beeinflusst fühlt. “Ich lebe in einer Art Factory – ganz wie Andy Warhol. Sie heißt Haus of GaGa, das ist als Reverenz an das Bauhaus gemeint”, gibt sie in der Zeit zu Protokoll. Angesichts der Fülle und Unvereinbarkeit ihrer Vorbilder darf man daran zweifeln, dass es sich bei solcherlei Bekenntnissen um mehr als Ausweise ihrer postmodernen Coolness, Belesenheit und Kunstkenntnis handelt.

Die Süddeutsche Zeitung spielt wohl auf Zeilen wie «I wanna take a ride on your disco stick» an, wenn sie feststellt: “Die Texte sind leidlich explizit, aber höchstens slapstickhaft anstößig. Und «Just Dance», «Lovegame» und «Poker Face» makellose zeitgenössische Pop-Songs. Grenzen werden hier nicht verschoben.” Und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung diagnostiziert: “Musikalisch sind ihre großen Hits vielleicht nicht einfallsreich oder bemerkenswert. Lady GaGas Selbst-inszenierung dagegen ist es”. Und richtig: “Mich fasziniert der Gedanke, dass das Visuelle die Musik in den Schatten stellen kann”, wird Lady GaGa im Musikblog des SZ-Magazins zitiert.

Genau das ist es, voran sie mit ganzem Einsatz arbeitet. Der Musik-Newsticker von Zeit-Online meldet mit Berufung auf The Sun: “Trotz großer beruflicher Erfolge hat die amerikanische Sängerin Lady Gaga nie Geld in der Tasche. »Ich bin schon viermal bankrott gewesen. Mein Manager will mich erschießen. Jeden Dollar, den ich verdiene, stecke ich wieder in die Show», beschreibt die schrille 23-Jährige ihre finanzielle Lage.”

Die Verkörperung des Prinzip Pop

Ihre Outfits, die überbordende Bühnenshow, die mit der Projektion eines Videos mit dem anspielungsreichen Namen «Who Shot Candy Warhol» beginnt und mit Pyrotechnik endet – ihren Künstlernamen hat Lady GaGa nicht umsonst dem Song «Radio Ga Ga» entlehnt. »We hardly need to use our ears/ How music changes through the years».

Sie ist die Perfektionierung dessen, was Queen dort betrauern, was aber nicht erst seit der Einführung von MTV Realität ist: Die Fixierung auf die visuellen Aspekte von Pop vor dem Hintergrund der jeweiligen musikalischen Ebene. Es geht schon immer um Körper, Haltungen, Maskierungen und Inszenierung – Lady GaGa spitzt das  Ganze lediglich einmal wieder spektakulär zu.

Lady GaGa ist Pop as pop can. Und somit das Gewächs im Wald aus lauter Bäumen, das das Schild mit der Aufschrift «Baum» nicht nur offen vor sich her trägt, sondern sich sogar damit schmückt.

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