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Baudelaire unter Bomben

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs verliebt sich Ingeborg Bachmann in Kärnten in einen jüdischen Soldaten der britischen Armee. Poetisch, berührend und eindrucksvoll erzählt der Band „Kriegstagebuch“ von der Begegnung. Er enthält ihre Tagebuchaufzeichnungen und die Briefe des Soldaten Jack Hamesh.

Es ist März 1945, der Krieg ist vorbei. In einem Büro der britischen Armee begegnet die achtzehnjährige Ingeborg Bachmann dem Soldaten Jack Hamesh. Er ist „klein und eher hässlich, Augengläser, spricht fließend deutsch mit einem Wiener Akzent“, vermerkt Bachmann in ihrem „geliebten Tagebuch“. Er befragt sie zu ihrer kurzen Mitgliedschaft beim Bund Deutscher Mädel und ob sie dort Führerin gewesen sei. Bachmann verneint, wird rot und „vor Verzweiflung immer röter“. Sie fragt sich, „warum man auch rot wird und zittert, wenn man die Wahrheit sagt.“ Wenig später verbindet das ungleiche Paar eine enge Freundschaft und zarte Liebe.

Thomas Mann als Anknüpfungspunkt

In Bachmanns Fragment, das nur wenige DINA-4-Seiten umfasste, werden die letzten Kriegsmonaten und die beginnende Nachkriegszeit festgehalten. Darauf folgen die Briefe des emigrierten österreichisch-jüdischen Hamesh. Bachmanns Tagebuch ist kurz, aber eindrucksvoll. „In der Strasse ist jetzt niemand mehr. Die Tage sind so sonnig. Ich habe einen Sessel in den Garten gestellt und lese. Ich habe mir fest vorgenommen, weiterzulesen, wenn die Bomben kommen“. Sie vergöttert Baudelaire, Thomas Mann und Stefan Zweig. Die Literatur wird zum Anknüpfungspunkt der jungen Menschen mit ihren so unterschiedlichen Geschichten. Hamesh ist das entwurzelte und traumatisierte Opfer des Nationalsozialismus, er war 1938 vor den Nazis nach England geflüchtet, seine Eltern waren bereits tot. Bachmanns Vater war Mitglied der NSDAP.

Der erste Handkuss

„Wir haben bis zum Abend geredet, und er hat mir die Hand geküsst, bevor er gegangen ist. Noch nie hat mir jemand die Hand geküsst. Ich bin so verdreht und glücklich, und wie er fort war, bin ich auf den Wallischbaum gestiegen, und hab geheult und mir gedacht, ich möchte mir nie mehr die Hand waschen“.

In mehrerer Hinsicht ist der Text aufschlussreich. Wir können uns ein Bild machen von der jungen Autorin Ingeborg Bachmann, die schon hier teilweise knapp und eindrucksvoll formuliert. Daneben finden sich Passagen aus dem Leben eines verliebten Teenagers. Bachmann hat ihre Schuhe an eine Freundin verliehen, die sich Zeit lässt mit dem Zurückgeben – „und ich muss mit den alten Schlapfen herumgehen, auch wenn Jack kommt.“

Zudem ist der Text ein Dokument jener Zeit, wir werden Zeugen eines tief verwurzelten Antisemitismus. „Alle reden über mich. ,Sie geht mit dem Juden’“. Und dann trotzig: „jetzt erst recht.“ Bachmann bricht ein Tabu und Hamesh überwindet sein anfängliches Misstrauen. „Durch Dich erst sah ich, dass es doch noch wert ist an Menschen zu glauben. Nicht an alle, an wenige einzelne an Dich“.

“Sie geht mit dem Juden”

Beispielhaft ist auch die eigenwillige Rechtschreibung Hameshs mit Fehlern, kaum vorhandenen Kommata und falsch angewandten Fällen. Dankenswerterweise wurden diese vom Herausgeber Hans Höller nicht korrigiert. So wird deutlich, wie sehr die Vertreibung, die Jahre im Exil, den jungen Mann auch aus seiner sprachlichen Heimat entfremdet haben.

Neben ihrer so gegensätzlichen und doch untrennbar verbundenen Herkunft, ihrer Intellektualität und Liebe zur Literatur, meint Hamesh noch einen weiteren Grund zu kennen, warum sich die beiden einander so verbunden fühlen. Sie komme zwar aus einem liebevollen Elternhaus. Und doch „sehnst Du Dich alleine zu sein. In dieser Einsamkeit glaube ich haben wir uns gefunden.“ Für ihn ist die Begegnung eine entscheidende Wendung, Bachmann schwärmt vom schönsten Sommer ihres Lebens.

“Sie alle können nicht mehr froh werden”

Doch die gemeinsame Zeit währt nur kurz. Bachmann geht nach Wien an die Universität, Hamesh verlässt seine Heimat ein zweites Mal und wandert über Italien nach Tel Aviv aus. In seinen Briefen klagt er über schmerzhafte Einsamkeit und „Haltlosigkeit wie ich sie noch nie zuvor miterlebt hatte, diese letzte Zeit war für mich das schrecklichste was ich je erleben musste.“ Er vermisst Bachmann sehr. Der letzte Brief erreicht sie 1947, Hamesh schreibt, er sei nun zufrieden („ich könnte ja ebenso gut in einem Massengrab in Polen verfaulen“). Er hat Freunde gefunden, auch sie aus Wien emigriert. „Doch sie alle haben ähnliches oder noch schlimmeres erlebt. Sie alle können nicht mehr froh werden.“

Es bleibt Raum für Mutmaßungen, eine leise Enttäuschung und zugleich ein besonderer Reiz des Bandes. Denn nicht nur Jack Hamesh selbst konnte nicht mehr gefunden werden, auch die Antworten Bachmanns sind damit verschollen. Höller, der Herausgeber, führt im Nachwort eine lange Liste an Personen und Institutionen an, die er auf der Suche nach Hamesh vergeblich kontaktiert hat und nennt die Hoffnung, durch die Veröffentlichung doch noch Hinweise zu finden.

Ingeborg Bachmann: Kriegstagebuch. Mit Briefen von Jack Hamesh an Ingeborg Bachmann. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Hans Höller. Suhrkamp, Berlin 2010. 107 Seiten, 15,80 Euro.

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