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„I like it when the red water comes out…!“

Deutsch meets English. Comedy meets Tragödie. Joker meets Hamlet…

How spooky is that then?!

In Kooperation mit Studierenden der „Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch“ inszeniert Hausregisseur Andreas Kriegenburg am Deutschen Theater einen Pop-Art Hamlet mit einem entschiedenen Hang zum Grotesken. Pop-Art definiert sich als künstlerische Reaktion auf ein den Massenmedien entnommenem Motiv. Und genau hat Kriegenburg getan. Sofort fällt auf, dass die Protagonisten allesamt aussehen wie der Batman-Joker aus „The Dark Knight“. Als Heath Ledger 2008 verstarb, grinste einen jene Joker-Fratze an, sobald man die Zeitung aufschlug, den Fernseher anschaltete oder den Web-Browser öffnete. Ihr jedoch in einer Shakespeare Aufführung zu begegnen, damit hat wohl erst einmal niemand gerechnet. Doch damit nicht genug.

Im letzten Jahr machte im Internet ein mehrteiliger, englischsprachiger Comic-Film namens „Salad Fingers“* die Runde. Zu sehen ist eine verstörte Kreatur, die in Gesellschaft von drei Handpuppen in ihrer eigenen Welt lebt, Selbstgespräche führt und sich selbst verletzt, „until the red water comes out“. Kriegenburg hat etliche stilistische Elemente aus diesem Comic übernommen und lässt Guildenstern ganze Passagen in Salat Fingers’ Gruselstimme zitieren. Überhaupt kommt Guildenstern und Rosencrantz eine ganz besondere Rolle in dieser Inszenierung zu. Am vorderen Bühnenrand sitzend moderieren und kommentieren sie wie zwei Außenstehende das gesamte Stück auf die psychopathische Art und Weise ihres Comic-Vorbildes. Dabei reden sie größtenteils Englisch, gern auch mit Deutsch vermischt: „I’ve lost the roten Faden!“, sagt Guildenstern einmal. „Me too, me too…“, ist Rosencrantz’ Standardantwort.

Der melancholische Hamlet selbst scheint in Kriegenburgs Darbietung die normalste Figur von allen zu sein, wenn er auch das gesamte Stück über auf Schritt und Tritt von einer symbolträchtigen schwarzen Luftballonwolke verfolgt wird. Denn als er kurz nach dem Tod seines Vaters heimkehrt, gleicht der dänische Hof einem Irrenhaus. Seine Mutter Gertrude, die Königin, hat sich offensichtlich um den Verstand gekokst und wenn sie nicht gerade mit den Tampons in ihrer Nase beschäftigt ist, um die Blutungen zu stoppen, fingert sie lüstern an ihrem neuen Gemahl Claudius herum. Die schöne Ophelia dagegen gleicht der Primaballerina aus einem Gruselkabinett. Die marionettenhaften Bewegungen und ihr umnachtetes Grinsen verleihen ihr etwas Irrsinniges. Auch Ophelias Vater Polonius, der nie mehr trägt als eine knappe Union-Jack-Boxershorts und in verschiedensten deutschen Dialekten spricht, macht einen äußerst konfusen Eindruck.

Dazu kommt das außergewöhnliche Bühnenbild, das komplett aus deckellosen Holzkisten besteht. Die Protagonisten sind daher gezwungen, unbeholfen von einer Kiste in die nächste zu steigen oder auf deren Außenwänden zu balancieren. Egal für welche der beiden Möglichkeiten sie sich entscheiden, es unterstreicht stets die Unsicherheit und Verletzlichkeit, die sich durch alle Charaktere zieht. Neben all diesen exzentrischen Figuren rückt Hamlet selbst vollkommen in den Hintergrund. Hält er einen auch nur etwas längeren Monolog, verdrehen Guildenstein und Rosencrantz bereits gähnend die Augen: „How boring… I have no bock more…“ und schlagen auf ihre Halli Galli Glocken, um eine neue Figur in ihrer Holzkiste zum Leben zu erwecken. Vielleicht liegt es auch daran, dass Thomas Halle als Hamlet keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Denn in Kriegenburgs Inszenierung gehen die Hauptrollen eindeutig an die Damen. Die Studentin Maria Wardzinska ist als Ophelia, trotz der Rolle innewohnenden apathischen Abwesenheit, das gesamte Stück über so präsent, dass man den Blick nicht von ihr lassen kann. Auch Aenne Schwarz zieht den Zuschauer in ihren Bann, wenn sie als Rosencrantz in ihrem gruseligen Deutsch-Englisch-Kauderwelsch die Handlung kommentiert: „I love this play!“, murmelt sie verschwörerisch dem Publikum zu, bevor es an die Schlussszene geht, „Everybody will die now… he he he… Enjoooy it!“.

Doch das erwartete Gemetzel bleibt aus. Zwei der Schauspieler ziehen sich riesige Masken auf und schlüpfen in die verschiedenen Rollen, um die begangenen Morde lediglich anzudeuten. Kriegenburgs Hamlet Interpretation ist plakativ, skurril und provozierend. Wer sich darauf einlässt wird einen unterhaltsamen Abend verleben. Wer nicht, wird mit ausreichend Stoff versorgt, um sich zumindest den Rest des Tages darüber aufregen zu können. Guildenstern sagt an einer Stelle kopfschüttelnd: „I don’t like this play. It is shit!“, woraufhin Rosencrantz ihm wie üblich zustimmt, „Yes, that’s true, me too, me too… It’s shit!“. Doch dann schaut sie noch einmal kurz zur Bühne, das wahnsinnige Grinsen kehrt zurück und man kann sie voller Begeisterung flüstern hören: „…but I like shit!“.

*Salat Fingers: http://www.youtube.com/watch?v=M3iOROuTuMA

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