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Der Tanz mit den Worten

Schiller in Bewegung: Der Theaterregisseur und Choreograph Laurent Chétouane sucht nach dem Grundwesen des Tanzes. Ob er in der deutschen Sprache fündig geworden ist, zeigt sein „Tanzstück # 3: Doppel/Solo/Ein Abend“.

Laurent Chétouane und das Publikum schenken sich nichts. Der Franzose, der seit 10 Jahren in Deutschland lebt, hat es in den vergangenen Jahren immer wieder geschafft die Zuschauer mit seinen wortlastigen und puristischen Theaterinszenierungen zu verstören. Goethes „Iphigenie auf Taurus“ inszenierte er zuletzt an den Münchener Kammerspielen als minimalistisches Sprechdrama, das den Schauspielern nur wenig Handlungsspielraum zugestand. Das Publikum quittierte dieses Vorgehen mit Buhrufen, die Kritik reagierte mit niederschmetternden Rezensionen. Dass sich Chétouane in den letzten Jahren zunehmend dem zeitgenössischen Tanz widmete, erscheint, angesichts seiner Obsession für bedeutungsschwere Wortbrocken deutscher Dichter und Denker, nicht gerade naheliegend. In den Sophiensälen inszenierte er zuletzt das „Tanzstück # 3: Doppel/Solo/Ein Abend“.

Vom Wort zur Bewegung

Chétouane scheint es gut mit seinem Publikum zu meinen an diesem Abend. Schon beim Betreten des Festsaals ertönen harmonische Gitarrenklänge, die Leo Schmidthals, Gitarrist der Band Selig aus seinem Instrument hervorzaubert. Nach dieser entspannenden musikalischen Einstimmung, beginnt das Solo von Matthieu Burner. Langsam suchend und vortastend, erschließt sich der Tänzer Stück für Stück den Raum, der durch die unverputzten Wände und die mit schwarzer Folie abgeklebten Fenster eine urige und mysthische Atmsophäre ausstrahlt. Der Text „vom ich“, der aus der Feder des Choreographen Philip Gehmacher stammt, wird währenddessen hinter ihm an die Wand projiziert. Die Worte beherrschten von dort aus den Raum und werden, da Burner sie auch laut spricht, zu Determinanten des Körpers.

Alltägliche Bewegungen, wie das Heben eines Armes bekommen durch diese Textualisierung und Versprachlichung eine Bedeutungsschwere, die nach dem Wesen des Tanzes selbst, nach den grundlegenden Gesetzen der Bewegung fragt. Fast bekommt man Mitleid mit diesem Tänzer, der auf der Bühne zu einem bloßen Instrument der Sprache degradiert wird, von dem er nicht weiß, wie es zu bedienen ist.

Der nächste Schritt

Nach einem kurzem Zwischenspiel, bei dem aus dem Solo Burners ein Doppel im Gleichschritt mit der Tänzerin Sigal Zouk wird, sprengt der Körper im zweiten Akt seine geistigen Fesseln. Sigal Zouk wird nicht mehr durch die Worte von „draußen“ bestimmt, sondern sucht die Gesetze der Bewegung in sich selbst. Zum ersten Mal an diesem Abend findet auf der Bühne tatsächlich Tanz statt, der von Schmidthals’ Improvisationen auf der Gitarre untermalt wird. Zouks Bewegungen folgen dabei keinem vorgegebenen Muster. Immer wieder hält sie kurz inne, legt sich zum Beispiel auf den Boden, in sich hineinhorchend, um kurz darauf die Suche nach der nächsten Bewegung fortzusetzen. Dieses Suchen, das nur durch kurze Momente des Findens unterbrochen wird, wirkt vor allem durch die begleitenden Gitarrenklänge. Dennoch scheinen sich Musik und Tanz nicht wirklich aufeinanander einzulassen: Nur selten gibt es Berührungspunkte im Improvistaionsspiel der Tänzerin und des Musikers.

Vertauschte Rollen

Wirklich interessant wird das Stück vor allem dann, wenn die Tänzer die Zuschauerposition brechen. Der direkte, gleichzeitig in sich gekehrte Blick der Darsteller ins Publikum irritiert und bewegt, da die Zuschauer es nicht gewohnt selbst zum Gegenstand des Geschehenen zu werden. Chétouane fragt hier nach dem Verhältnis zwischen dem Agieren auf der Bühne und dem Reagieren in den Zuschauerreihen. Die konventionelle Teilung zwischen Darsteller und Publikum wird gebrochen, das Sein auf der Bühne zur Diskussion gestellt.

Die Bürde der Bedeutung

Dennoch: Die konzeptuellen Bemühungen des Regisseurs sind während der Aufführung allzu deutlich spürbar. Unter der Bedeutungslast, die er seinem Stück aufbürdet, werden viele Details zu bloßen Nebensächlichkeiten degradiert. Die Obstschale, die wie ein Stillleben als einzige Requisite auf der Bühne steht, erschließt sich genauso wenig, wie die Kleidung der Tänzer. Warum Sigal Zouk einen unförmigen, buntgeringelten Wollpullover trägt und Mathieu Burner in Turnschuhen tanzt, bleibt unverständlich.

Zu einem größeren Verständnis können dann auch die Zitate aus Dramen von Schiller und Hölderlin nicht beitragen, wenn der Zuschauer gleichzeitig mit Musik, Schauspiel, Bewegungen und seiner eigenen Rolle im Stück beschäftigt ist. Dieser Rückgriff auf zu viele unterschiedliche Medien und Perspektiven untergräbt letztlich Chétouanes Versuch dem Wesen des Tanzes näher zu kommen. Der Minimalismus, der ihm als Theaterregisseur vorgeworfen wird, würde seine Tanzstücke bereichern.

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