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…, bei denen das Lachen im Halse stecken bleibt

Wer kann erklären, warum wir lachen? Über Humor zu schreiben heißt, versuchsweise zu schreiben. In seiner im Jahr 1999 entstandenen Abhandlung über Humor, Jokes: Philosophical Thoughts on Joking Matters, erklärt Ted Cohen, Professor an der University of Chicago: „Es wird hier keine ausführliche Theorie über Witze oder ihren Sinn geben, nicht nur, weil mir so eine Theorie fehlt, sondern, weil ich glaube, dass es so eine Theorie nicht einmal geben könnte.“

Manche Gelehrte, etwa Platon und Hobbes, dachten, Humor heißt Verspottung. Andere meinen: Nein, Humor handelt von Absurdität und der Entdeckung von Nichtübereinstimmungen.

Nein, das Lachen repräsentiert die Befreiung von Hemmungen und Tabus.

Nein, wir müssen zusammen lachen, um ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu fördern, ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit.

Die Kehrseite der Medaille ist die Ausgrenzung von Menschen, die den Witz nicht verstehen. Um mit den Worten des Philosophen Peter Kivy zu sprechen: „Das Lachen ist für die Außenseiter ein bedrohendes Knurren.“

Je mehr man über verschiedene Arten von Humor nachdenkt – von Slapstick und Farce bis zu Situationskomik, von „harmlosen“ Witzen bis zu „kranken“ und „schmutzigen“, von Stand-Up-Routine bis zur politischen Satire – desto klarer wird: Es gibt keine alleinige Theorie, alle zu erklären.

Das ewige Absurde und die Gefahr der Brutalität

Manche Witze funktionieren, egal wo oder wann sie erzählt werden. Einer der ältesten Sammlungen stammt von Poggio Bracciolini, einem päpstlichen Sekretär vom Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts, der u.a. 273 Witze und humorvolle Bemerkungen in seiner Liber Facetiarum gesammelt hatte.

Witze über dicke Menschen, Sex und Furze sind den meisten von uns geläufig. Wenn sie gut erzählt sind, kann man sogar über diese Witze lachen. Interessanter jedoch ist die Art von Humor, die stirbt, weil die Zeit über sie hinweggeht oder weil unterschiedliche Gemeinschaften unterschiedliche Sensibilitäten und Hintergründe haben.

Bei der Satire kann der Witz mit dem Ziel der Verspottung verloren gehen. Die Prämisse von Lysistrata – dem Sex-Boykott der Frauen, um die Männer zum Frieden zu zwingen – kann in jedem Land zu jeder Zeit effektiv sein (siehe jüngst Kenia) – das Werk von Aristophanes jedoch ist voll von bissigen Referenzen auf die Griechen, die das moderne Publikum schlichtweg nicht kennt. Und der explizite sexuelle Humor? Vergessen wir nicht, dass Aristoteles sagte, die Quelle der Komödie könnte in der Phallus-Parade liegen. In Zeiten und Orten der sexuellen Verdrängung, z.B. im viktorianischen England, war und wird er nicht goutiert.

Aber es gibt Beispiele, die noch rätselhafter sind. Man muss schon Shakespeare-Experte sein, um zu wissen, dass Der Kaufmann von Venedig und Maß für Maß eigentlich Komödien sein sollten? Angefangen bei Charles Macklins Darstellung des Shylocks von 1741 waren die komischen Szenen durch den Fokus entweder auf die Grausamkeit der jüdischen Rolle oder seine Verletzlichkeit gefährdet. Das Hauptgeschehen von Maß für Maß spielt im Gefängnis, und durch seine Handlung – es geht um sexuelle Erpressung – erhielt es das Label „problematisches Stück“.

Mit dem Kaufmann von Venedig kann man nicht sagen, dass sich die englische Sicht auf Juden Mitte des 18. Jahrhunderts weiterentwickelt hätte; Antisemitismus entsprach weiterhin der Norm. Macklin war nicht daran interessiert, ein sympathisches Porträt von Shylock zu transportieren. Als der deutsche Aphorist und Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg die Aufführung sah, beschrieb er die Figur des Shylock als „keiner von den kleinlichen, beredten Betrügern, die über die Tugenden einer goldenen Uhrkette aus Tombeck eine Stunde plaudern können; er ist langsam, in unergründlicher Schlauigkeit stille, und wo er das Gesetz für sich hat, bis zur Bosheit gerecht.“ Das war eine revolutionäre Reinterpretation, die lange auf sich warten ließ. Zu dem Zeitpunkt als Lichtenberg das Stück sah, hatte Macklin es bereits seit 34 Jahren aufgeführt.

Hässliche Witze

Grausamkeit in ethnischen, rassistischen, und sexuellen Witzen gefährdet letztendlich den Humor.  Sobald das Publikum Empathie mit den Opfern empfindet, stirbt der Witz.

Zum Beispiel die  Szene von Mel Brooks History of the World Part One. Die meisten Arbeiten von Brooks beziehen sich auf Typen – Genretypen oder Stereotypen. Im Großen und Ganzen wirkt die Szene im Palast des Imperators immer noch als Komödie, obwohl Brooks den Assistenten des Imperators ständig mit „faggot“ bezeichnet, im Bestreben nach Humor, der eindeutig auf nichts, aber auch gar nichts anderes als auf eine Verachtung Homosexueller abzielt. Es hinterlässt einen schlechten Beigeschmack, einen Kloß im Hals. Der Film erschien 1981, kurz bevor das Wort AIDS die globalen Lexika eroberte und eine neue Phase in der schwulen Rechtsbewegung auslöste.

Seit Freud gab es mehr Forschung über tendenziösen, d.h. feindlichen Humor. Der Schriftsteller und Volkskundler Gershon Legman behauptete, die sexuelle Identität und Neurosen einer Person werden durch ihre Lieblingswitze offenbart. Er schrieb: „Die Menschen machen keine Witze über Sachen, die ihnen Freude bereiten oder die ihnen heilig sind. Sie machen nur Witze über Sachen, die sie beängstigen oder verstören.“

Dieser Gedanke ist in dem Buch des verstorbenen Alan Dundes, einem Volkskundler an der University of California in Berkeley implizit. In Cracking Jokes: Studies of Sick Humor Cycles and Stereotypes untersucht Dundes, wie in den USA so genannte “dead baby jokes” populär wurden, nämlich genau zu der Zeit, als Abtreibung legalisiert wurde. Geauso gab es eine Gattung „anti-Black jokes“, als „elephant jokes“ bekannt, die während der Bürgerrechtsbewegung weit verbreitet waren. Und in Westdeutschland sind nach dem Krieg Auschwitz-Witze entstanden, die oft mit antitürkischer Stimmung verbunden waren:

Was ist der Unterschied zwischen einem dicken und einem dünnen Juden?
Der dicke brennt länger.

Ein Türke und ein Jude springen vom Haus. Wer ist schneller unten?
Der Türke ist aus Scheiße, der Jude aus Asche, also ist der Türke schneller.

Geschrieben wurden die Kapitel über „Auschwitz-Humor“ von Dundes 1983. Unterstützt wurde er von Thomas Hauschild, Professor für Ethnologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Uli Linke, Anthropologin am Rochester Institute of Technology. Die beiden Deutschen sammelten die Witze vor Ort.

Dundes und Hauschild beschreiben diese Witze als eine zu bereuende Art von Vergangenheitsbewältigung. Eine schwierige Sache. Sind solche geschmacklosen Witze wirklich ein unvermeidliches Resultat sozialen Umschwungs? Wenn ja, sind sie wirklich ein harmloses Mittel, sozialen Druck zu beschwichtigen, sodass die Gesellschaft später den Punkt erreichen kann, solchen Humor abscheulich zu empfinden? Ich gebe zu, meine eigene Abscheu vor solchen Witzen behindert mich bei der sachlichen Überlegung dieser Frage. Ich vermute aber, dass diese Witze eher ein Hindernis darstellen, statt hilfreich auf dem Weg zu einem harmonischen Vielvölkerstaat zu sein.

Was machen The Producers?

Letztlich gibt es die Frage: Was passiert, wenn eine ethnische Gruppe sich selbst zum Ziel ihrer eigenen tendenziösen Witze macht? Hier kann Mel Brooks ein gutes Beispiel. Sein Film The Producers ist aus dem Jahr 1968. Er erzählt die Geschichte zweier Juden, die eine finanzielle Gaunerei aushecken. Ihr Plan setzt voraus, dass sie eine Broadway Show produzieren, die so grauenvoll misslingt, dass sie gleich nach ihrer Uraufführung wieder abgesetzt wird. Das Stück heißt Frühling für Hitler – ein Musical, so geschmacklos, dass es garantiert ein Flop sein müsste. Weit gefehlt. Das Publikum amüsiert sich köstlich, und die Möchtegernschwindler sind ruiniert.

Als Teenager sah ich den Film in einem Vorort von New York und hielt den für urkomisch. Ich habe keine Sekunde an das Stereotyp geldgieriger jüdischer Schwindler gedacht. Die Freude am Film resultiert schlicht aus den genialen Darstellungen von Gene Wilder und Zero Mostel und aus dem Tabubruch, wobei Hitler zur lächerlichen Figur gemacht wurde. 2001 entschied sich Mel Brooks, den Film in eine Broadway Show zu verwandeln, und dann machte er aus der Show einen neuen Film. Jetzt kommt die deutsche Version der Show nach Berlin. Am 15. Mai hat sie ihre deutsche Uraufführung im Admiralspalast, der zur Zeit mit großen, hellroten naziartigen Fahnen geschmückt ist. Die Fahnen zeigen eine Bretzel statt des Hakenkreuzes.

Letzte Woche sah ich eine Kinowerbung, die ein mir schon bekanntes Zitat von Mel Brooks übernimmt: „Ich bin wahrscheinlich der erste Jude, der mit Hitler richtig viel Kohle verdient“. Diese Aussage war es, die meine Ambivalenz gegenüber einer Inszenierung des Stückes sowohl in Wien (Ort der deutschsprachigen Uraufführung letzten Sommer) als auch in Berlin geweckt hat. Als ich das Zitat zuerst auf Englisch gelesen hatte, habe ich kurz in mich hinein gekichert und dachte nicht weiter darüber nach. Aber in einem Kinosaal voller Deutscher war mein erster Gedanke: „Wie viele dieser Leute denken jetzt an die Jewish Claims Conference“?

Paranoid?

Brooks sagte 2006 in einem Spiegel-Interview: “Ich bin eben Komiker und als solcher kenne ich keine Tabus.” In New York machte mir diese Einstellung nichts aus. Hier in Berlin habe ich jedoch ein merkwürdiges Gefühl, wenn ich sehe, dass Menschen, die vor zwanzig Jahren Auschwitz-Witze erzählten, sich jetzt zu den Genießern von The Producers zählen könnten.

Allerdings ist das dann eine Art Fortschritt.

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